Affenhaus

Ich bin mit Armin und Pavel im Zoo. Es regnet, als würde die nächste Sintflut nahen. Wir stehen vor dem Affenhaus. Pavel trägt einen knallgelben Regenponjo, der ihn mit seinen einmeterzweiundsechzig, dem Blähbauch und den schlauchbootartigen, spröden Lippen undefinierbarer Farbe aussehen lässt wie die Ente aus der Sendung mit der Maus. Armin hat einen monströsen Rucksack umgeschnallt, aus dem es bei jedem Schritt laut klimpert. Auf seinem Kopf thront eine Fotokappe, die das Bild eines uralten Paars vor einem Weihnachtsbaum zeigt. Die hat er vor einigen Jahren aus der Umkleide einer holländischen Kegelbahn geklaut. Ich sehe mir die beiden an und murmle leise: „Was mache ich hier?“, dann sehe ich mein eigenes Spiegelbild in der Glastür des Affenhauses: Cowboystiefel, Bundeswehrparka, Zylinder. Klar, denke ich, wir haben Urlaub.
Armin stößt die Glastür auf und schreitet erhobenen Hauptes hindurch, als würde es sich nicht um das Affenhaus, sondern den Bundestag handeln und als wäre er kein Lagerist in der Ausbildung, sondern die Bundeskanzlerin persönlich. Pavel wackelt ohne nachzufragen, blind hinterher,als wäre er SPD-Parteichef. Na gut, dann mache ich eben den Bundespräsidenten. „Angesichts der Tatsache, dass Armin ins Affenhaus gehen will“, verkünde ich, „ist es nur Sinnvoll und im Interesse Aller, dass wir ins Affenhaus gehen.“ Ich stolziere hinterher.
Wir sind allein im Affenhaus und das, so wird mir in diesem Moment bewusst, ist tatsächlich im Interesse Aller. Armin öffnet seinen Rucksack, nimmt sich eine Flasche Bier heraus und sieht fragend in die Runde. Pavel blickt ihm mit kritischem Gesichtsausdruck direkt in die Augen. „Es ist halb Elf, du Assi, wir sind seit Zehn unterwegs und erst jetzt kommst du auf die Idee, uns Bier anzubieten?“ Pavel greift selbst in den Rucksack, fischt ein Bier mit Ploppverschluss heraus und sperrt es auf. Dann reicht er es mir und angelt sich selbst noch ein weiteres. Armin sieht uns erneut fragend an. „Hat einer von euch ein Feuer?“
„Nö…“ murmelt Pavel, ich tue so, als hätte ich die Frage nicht gehört und befasse mich eingehend mit einem kleinen Schild, auf dem erklärt wird, welche Vorteile Primaten durch ihren beweglichen Daumen haben. Armin stellt sich neben mich und schüttelt den Kopf. „Und trotzdem sind sie zu blöd, um FIFA zu zocken.“ Armin öffnet sein Bier an dem Schild und bricht dabei eine Ecke davon ab. Pavel zündet sich eine Zigarette an.
„Du ich glaube, hier ist Rauchverbot…“ versuche ich ihn zu ermahnen, doch Pavel schüttelt den Kopf.
„Hab ich schon gecheckt, hier hängt nirgends ein Verbotsschild. Und du weißt: Alles was nicht verboten ist, ist erlaubt.“
„Na gut“, ich stecke mir ebenfalls eine Zigarette an.
„Ey Armin, der Schimpanse da drüben, der sieht aus wie deine Mutter!“ Pavel kann sich vor Lachen kaum halten.
Das traurige ist, dass der Schimpanse tatsächlich so aussieht wie Armins Mutter.
Und dass der Schimpanse männlich ist, worauf Armin natürlich aufmerksam gemacht werden muss.
„Das ist ein sehr feminines Schimpansenmännchen.“ Armin startet ein hoffnungslosen Versuch der Ehrenrettung seiner Frau Mutter.
„Wie deine Mutter.“ erwidere ich.
Armin erkennt die Sinnlosigkeit des Unterfangens und kramt ebenfalls nach Zigaretten.
Die Tür öffnet sich und eine Familie mit zwei Kindern kommt in das Affenhaus. Die Tochter, ungefähr fünf Jahre alt und komplett in rosa gekleidet sieht uns mit weit aufgerissenen Augen an und fängt stante pede an zu weinen. Der Sohn, geschätzte dreizehn, darauf deutet zumindest sein Pullover hin, der bis zu den Knien reicht und auf dem steht „Money over Bitchez“, würdigt uns keines Blickes und schlurft zu der Glasscheibe hinter der sich die Paviane befinden.
Der Vater, blass, etwas zu lange Haare, Outddorjacke, supermodische Gummistiefel, trägt eine Kappe mit Nackenschutz, die ihn vor Regen, Sonnenbrand und der Bereitschaft anderer Menschen, ihn ernst zu nehmen schützen soll, kommt schnurstracks auf uns zu.
„Entschuldigen Sie bitte“, ruft er uns entgegen „schämen Sie sich denn nicht, bereits Vormittags, unter der Woche in einem solchen Zustand durch die Gegend zu torkeln? In einem Tierpark, in dem bekanntermaßen hauptsächlich Familien unterwegs sind? Und dann auch noch in einem geschlossenen, öffentlichen Raum rauchen, was aus Feuerpolizeilichen Gründen definitiv nicht gestattet ist? Vor meinen Kindern? Ich werde dafür sorgen, dass Sie des Geländes verwiesen werden!“
Eindeutig ein Fall für Armin.
„Jetzt ist aber mal gut! Wissen Sie eigentlich wen Sie hier vor sich haben?“
„Das ist mir herzlich egal, ich habe eine Jahreskarte für diesen Zoo, ich kenne den stellvertretenden Direktor und…“
„Da haben wirs ja, den Stellvertreter. Ich darf mich vorstellen? Dr. Hartmut Engelbrecht. Direktor dieser Anstalt. Dies sind unsere beiden Hauptinvestoren Herr Professor Wahlberg und Herr von Semmelrogge. Wir machen gerade eine Privatführung durch unseren Zoologischen Garten, in dem die beiden Herren gemeinsam für fast die Hälfte aller Tiere eine Patenschaft besitzen und stoßen auf eine gute weitere Zusammenarbeit an. Und Sie sind?“
Der arme Mann sieht Armin völlig perplex an und wendet sich dann ab. „Kinder kommt, ihr wolltet doch das Aquarium sehen!“
Die weinende Tochter hat das Affenhaus bereits mit der Mutter verlassen, der Gangstersohn ist, einige Schritte weiter, mit seinem Smartphone beschäftigt. Der völlig irritierte und aufgelöste Vater packt ihn am Arm, „Komm, Winnetou! Wir gehen ins Aquarium!“, und zerrt ihn Richtung Ausgang.

„So.“ Pavel greift sich ein neues Bier aus Armins Rucksack und lässt es aufploppen, „Was machen wir jetzt? Ich hätte ja Lust, mir mal die Fische anzusehen.“

– Raphael Stratz

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